Brief an die Mutter – 10. Oktober 2009

Hallo meine Mama,

es tut mir wirklich sehr sehr leid, dass es doch so gekommen ist, wie es jetzt ist. Doch ich bin mir am überlegen ob ich nicht eine Reha machen soll. Nur es fällt mir sehr scher (glaub mir, doch du wirst es nicht verstehen) mein Leben ohne Drogen vorzustellen.

Denn seit Jahren konsumiere ich und bin daran gewöhnt. Doch für ein Leben, wie ich es mir wünsche (eigene Wohnung, dies das) muss ich mein altes Leben aufgeben.

Wenn ich es machen sollte, wird es ein schwerer langer Weg sein.

Wenn ich einen freien Wunsch hätte, wo ich mir alles wünschen können würde, hätte ich in erster Linie gewünscht, dass Papa leben würde, dann dass ihr zusammen bleiben würdet und erst dann hätte ich an mich Wünsche gegeben. Und ich wünschte, dass es erst gar nicht passiert wär, dass ich an den falschen Weg geraten würde. Ich wünschte, dass ich niemals mich auch schneiden würde. Und wünscht ich wär gar nicht Suizid gefährdet gewesen.

Ich habe so viele Wünsche, doch die meisten wären (werden) gar nicht in Erfüllung gegangen (gehen).

Ich schätze und liebe dich sehr Mama. Und es tut mir sehr weh, auch wenn du es vielleicht nicht glaubst, dir weh zu tun. Ich kann einfach nicht zusehen, wenn du wegen mir weinst, oder dir Sorgen machst. Ich wünschte (wieder ein Wunsch) ich wär kein Sorgenkind, kein Problemkind.

Doch es ist leider so und ich kann, auch wenn ich es wollte, nichts von den Fehlern die ich gemacht habe, rückgängig machen. Wenn nicht mein Egoismus und scheiß-Dickkopf wären, wären wir vielleicht jetzt eine glückliche Familie.

Aber wie du merkst, lerne ich leider nichts aus den Fehlern. Ich sehe es zwar ein, jedoch ändern will ich irgendwie nichts. Ich habe Angst Mama … Angst einfach um alles. Vor allem um dich.

Ich mache mir auch Sorgen. Nicht um mich – um dich. Du gehst nun schon zum Psychologen wegen mir, du nimmst Anti-Depressiva. Wegen mir gehst du kaputt, ich will das nicht. (-> ich weine gerade) Und ich merke langsam, dass du die Hoffnung, dass du mich aufgibst … Doch ich vesuche dir zu beweisen, dass ich doch kein schlechter Mensch bin. Doch ich scheiter immer.

Versuch bitte mir zu glauben – ich steh unter so einer Spannung, so einem Druck, dass ich jeden Moment explodieren könnte. Meine ganze Gedankenwelt zerstört mich innerlich, deswegen nehme ich Drogen um sie abzuschalten, um auf mich, auf die Welt überhaupt klar zu kommen. Allein schon wegen meinem Selbsthass, wegen diesem Wahn mich kaputt zu machen. Den Drang mich zu zerstören. Es ist etwas kaputt in meinem Kopf, meiner Seele. Kein normaler Mensch würde sich freiwillig langsam aber sicher töten. Stück für Stück umbringen. Keiner.

Deswegen kann man auch nicht nachvollziehen warum ich so ein Leben führe. Ich würde jedoch so gerne alles anders machen. Doch nun bin ich schon fast soweit, dass es zu spät ist …

In den Ferien jetzt versuche ich meine Lebenssituation vielleicht in eine bessere Richtung zu verändern. Und dann will ich auf jeden Fall zur Schule gehen, regelmäßig, dass diese scheiß-Behörden meine Aufenthaltsgenehmigung verlängern. Denn ich will hier in Deutschland bleiben. Bei dir.

Denn ich weiss – in Rußland gibt es für mich gar keine Zukunft, allein schon, jobmäßig. Hier habe ich noch Chancen (wenn ich es nutze) auf einen Schulabschluß, eine Ausbildung, einen Job. Und ich habe das Wichtigste hier in Deutschland – meine Mutter, die ich über alles liebe.

Und verdammt nochmal! Ich will nicht, dass DU wegen MIR kaputt gehst. Ich weine jeden Abend, jeden Tag drum, was ich eigentlich für ein Arschloch bin. Denn nicht nur du bist von Sorge um mich betroffen – auch meine Omas, Tante Vera, ach, die ganze Familie (unter anderem, denke ich, John) macht sich Gedanken um mich.

Ich bin einfach nur zu dumm und zu egoistisch um meine Lebenseinstellung zu ändern.

Ich habe Angst in Reha zu gehen, einfach darum, weil ich zu große Angst habe nachher wieder scheitern, wieder rückfällig zu werden, wieder euch zu enttäuschen.

Heroin hat mich so rücksichtslos, so egoistisch (mehr als ich schon bin) und einfach nur kaputt gemacht. Und es tut mir unendlich leid und tur mir weh zuzusehen, wie ihr zuseht, wie ich mich langsam umbringe. Ich wünschte (!) ich hätte kein Suchtpotential. Und ich wünschte, ich hätte niemals für mich die Drogen entdeckt, hätte niemals die Welt für mich entdeckt, wo ich von mir selber fliehen, weglaufen kann.

Mama, ich bin sehr dankbar für alles, was du in den Jahren für mich getan hast. Du bist die beste Mana, die man haben kann. Und ich hoffe und wünsche (!), dass Willi nicht in meine Fußstapfen tritt. Denn mein Brudeer darf nicht so werden wie seine Schwester. Denn die Mama hat es verdient, dass wenigstens einer keine Sorgen bereiter und kein Problemkind ist. Wilhelm wird ein guter Junge, dafür sorge ich.

Nicht nur dir, sondern auch John bin ich dankbar. Trotz allem ist er zu mir gestanden, obwohl ich mich ihm gegenüber richtig Scheiße verhalten habe. Sag ihm das auch bitte. Ich schätze euch und liebe euch, auch wenn es vielleicht unglaubhaft klingt.

Und ich glaube, dass ich mich irgendwo ändern will. Deswegen hoffe ich für uns alle, dass es wirklich so ist, dass ich mich ändern will. Doch ohne euch schaff ich es niemals. Bitte helft mir ein besserer Mensch zu werden.

Mama, ich liebe dich!

Deine Tochter Lisa, 10.10.2009